Futter für die Echokammer: die Sächsische Zeitung und der Pressekodex

Die Sächsische Zeitung hat entschieden, sich künftig nicht mehr an die Richtlinie 12.1 des Pressekodexes zu halten. Von nun an sollen Nationalitäten von Tatverdächtigen benannt werden – ob es sich um Deutsche handelt oder nicht.

Es liegt uns sehr am Herzen, die überwiegende Mehrheit der nicht kriminellen Flüchtlinge in Dresden und den anderen Gemeinden unseres Verbreitungsgebiets zu schützen und sie vor Diskriminierung zu bewahren.

[…]

Viele SZ-Mitarbeiter sind im Gegenteil überzeugt davon: Gerade das Nichtnennen der Nationalität von Straftätern und Verdächtigen kann Raum für Gerüchte schaffen, die häufig genau denen schaden, die wir doch schützen möchten. Wie die meisten unserer Kollegen halten auch vier von fünf SZ-Abonnenten die Nennung der Nationalität von Tätern nicht für diskriminierend und plädieren ebenfalls dafür, die Nationalität zu nennen.

Die Argumentation ist so im Ansatz – weil statistisch gestützt – durchaus nachzuvollziehen, die Redaktion vernachlässigt in ihrer Gleichung jedoch eine entscheidende Größe: Die Polizei. Denn die Auswahl der Inhalte von Pressemitteilungen obliegt eben nicht der Redaktion. Diese Vorselektion – die selbstverständlich nach Ort und jeweiligem Diensthabenden stark variieren kann – spiegelt sich in einem Kommentar der Volksstimme (Sachsen-Anhalt) aus dem Januar wider:

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Die SäZ zur Rolle der Polizei:

Allerdings können wir auch weiterhin nur Straftaten vermelden, von denen uns die Polizeibehörden auch in Kenntnis setzen, was mit Bagatellfällen wie kleineren Diebstählen oder Schwarzfahren für gewöhnlich nicht geschieht. Und wenn die Polizei die Herkunft der Täter und Verdächtigen bei schwereren Vergehen nicht nennt, können wir es ebensowenig. Tut sie es doch, werden wir auch diese Information nicht verschweigen.

Wenn also durchaus ein Bewusstsein für die Anfälligkeit dieses Verfahrens besteht – obgleich hier nur auf die Art der Straftat selbst, nicht auf die Möglichkeit, dass eine Vorauswahl der Meldungen nach Nationalität ebenso wie racial profiling eine Rolle spielen könnten, verwiesen wird – fußt diese Entscheidung nun auf den Wünschen der AbonenntInnen:

Ein wichtiges Motiv für unsere Entscheidung waren ebenfalls Erkenntnisse aus der Abonnentenbefragung vom Frühjahr. Obwohl die SZ die Täterherkunft bisher eher selten nannte – meist nur, wenn sie in direktem Zusammenhang mit der Tat stand –, schätzen viele Leser die Zahl krimineller Flüchtlinge in Sachsen erheblich höher ein, als sie ist. Dieses Überschätzen von Ausländerkriminalität ist bundesweit ein gravierendes Problem, denn es kann rassistische Vorurteile befördern.

Ein durchaus nachvollziehbare Begründung, die ursächlich aber nur bedingt durch die Redaktion steuerbar ist und zugleich nur am Rande berücksichtigt, dass auch die LeserInnen sowie einschlägig agitierende UserInnen, Blogs und Facebook-Pages ihrerseits selektieren, welche Artikel sie teilen, verstärkt das letztendlich nur das Narrativ des kriminellen Ausländers. Futter für die Echokammer.

Zum Umgang der Polizei mit nicht-weißen und migrantischen Opfern bitte außerdem bei Trollbar und dem Migazin nachlesen.

3 Kommentare

  1. Ich frage mich zusätzlich, mit welcher Ernsthaftigkeit Polizeipressemeldungen tatsächlich noch einmal ausgewählt und journalistisch bearbeitet werden. Für die Sächsische Zeitung kann ich es nicht sagen, aber neben den tatsächlich recherchierten Artikeln oder der Übernahme von Agenturmeldungen (welche in Bezug auf Polizeimeldungen noch einmal gesondert zu untersuchen wären) legt der Vergleich zwischen Polizeimitteilungen und einem guten Teil der Polizeiberichterstattung der LVZ, die passenderweise schon Polizeiticker heißt, nahe, dass hier im Normalfall einfach die Polizeimeldungen übernommen oder paraphrasiert und keine eigenen Recherchen angestellt werden. Und die LIZ veröffentlich die Polizeimeldungen inzwischen direkt im Original. Das mindeste, das man hier aus journalistischer Sicht verlangen müsste, wenn es keine eigenen Recherchen oder Rechercheergebnisse dritter gibt, ist eine Wiedergabe im Konjunktiv – die Polizei teilt mit, die Tat habe stattgefunden, der Täter sei xy. Alles andere stellt Polizeimitteilungen quasi mit Agenturmeldungen gleich. Das wird spätestens dort zum Problem, wo die Polizei selbst zur am Geschehen beteiligten Partei wird – beispielsweise bei Auseinandersetzungen rings um Demonstrationen.
    Das hat zwar nun alles nichts direkt mit der angenommenen oder tatsächlichen Herkunft von Tatverdächtigen, TäterInnen oder Gesuchten zu tun, wohl aber mit der Frage, inwiefern man beim aktuellen Zustand der Kriminalitätsberichterstattung mit dem Begriff „Fakten“ operieren sollte. Die Polizei sollte, auch in Bezug auf die „Herkunft“, eigentlich so behandelt werden wie jede andere Quelle auch.
    Das Fass mit der Frage, welchen Nachrichtenwert die derzeit praktizierte Berichterstattung über Straftaten überhaupt hat, lasse ich für heute lieber erstmal noch ungeöffnet.

  2. Pingback: Auch Deutsche unter den Tätern | Übermedien

  3. Ein weiterer Aspekt des Problems ist die illusorische Korrelation [1]: Bei 2 Gruppen gleich häufig auftretendes negatives Verhalten wird bei der kleineren Gruppe als häufiger wahrgenommen, zumindest wenn dies eher selten vorkommendes Verhalten ist.
    Angenommen, die Kriminalitätsrate wäre bei Geflüchteten ähnlich hoch (niedrig) wie bei der „deutschen“ Bevölkerung. Dann wird ein nennen der Nationalität trotzdem nicht, wie die SäZ vielleicht hofft, das Bild der Leser geraderücken, sondern die Kriminalität unter Geflüchteten immer noch als wesentlich höher eingeschätzt.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Illusorische_Korrelation

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