Meine Rede im Europarat zum Hearing „Migrant Invasion – Breaking the Myth“

Screenshot: Hoaxmap.org

Am 26. Juni 2018 hatte ich die Gelegenheit, zehn Minuten Redezeit bei einem Hearing der No Hate Parliarmentary Alliance zu füllen. Was ich dort gesagt habe, dokumentiere ich hier (Spoiler: Es gibt einen semi-guten Fax-Witz am Ende).


Anfang 2016 hatte ich die Idee für eine Karte, auf der Falschmeldungen und Gerüchte über Geflüchtete zusammengetragen werden. Tatsächlich geht es aber nicht nur um Geflüchtete, sondern generell People of Color, weil sie alle zu Anderen, zu Geflüchteten gemacht wurden, als im Spätsommer 2015 Hunderttausende nach Deutschland kamen.

Inzwischen sind etwa 500 dieser erfundenen Meldungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz auf Hoaxmap.org verzeichnet. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs, nämlich die Geschichten, die von Medien (vor allem Lokalmedien) aufgegriffen und widerlegt wurden.

Die meisten dieser Falschmeldungen handeln von Raub und Diebstahl, sexualisierter Gewalt und Sozialleistungen, die Geflüchtete angeblich im Überfluss erhalten.

In den vergangenen zwei Jahren habe ich viel mit Menschen aus anderen Ländern gesprochen: Aus Kanada, Singapur, Japan, Kenia. In Finnland gibt es inzwischen ein ähnliches Projekt wie Hoaxmap. In all diesen Ländern gibt es Falschmeldungen über die vermeintlich “Fremden”.

In Japan zum Beispiel erzählte man sich nach dem Reaktorunglück in Fukushima, dass die Häuser, die von den Flüchtenden zurückgelassen wurden, von Koreanern geplündert worden waren.

Neben meiner Arbeit an Hoaxmap bin ich auch als Faktencheckerin tätig. Das Feld ist in Europa vergleichsweise jung, es gibt nicht viele von uns. Wir sind so neu, dass wir noch gar nicht richtig wissen, inwiefern unsere Arbeit wirkt und ob wir auch diejenigen erreichen, die an Falschmeldungen glaubten und diese auch verbreitet haben.

Wir können aber voneinander lernen. Und von denjenigen, die die Arbeit schon deutlich länger machen als wir, wie Snopes und Politifact in den USA und AfricaCheck in Südafrika, Kenia und Nigeria, um nur einige zu nennen.

Unsere Arbeit besteht darin, Falschmeldungen zu widerlegen, mit Zahlen zu jonglieren und Aussagen, Statistiken, Meldungen einzuordnen, Kontext zu liefern.

Das ist natürlich auch eine Aufgabe des Journalismus im Allgemeinen. Wir aber reagieren auf die Geschichten, die uns im Alltag begegnen. In sozialen Medien ebenso wie in Wahlkampfreden oder den sogenannten “Alternativmedien”.

Meistens sind diese Falschmeldungen ohne großen Aufwand produziert. Ganz im Gegenteil, die meisten dürften innerhalb von Minuten erstellt worden sein. Ganz selten werden Bilder oder Videos manipuliert. Es reicht schon, Dinge vollkommen aus dem Zusammenhang zu reißen.

Es gibt ein Bild von Angela Merkel, die zwischen jungen Frauen in weißen Hijabs steht und einen Blumenstrauß in der Hand hält.

Das Foto wurde bei einem Besuch in einem türkischen Flüchtlingslager aufgenommen, damals, als Erdogan und Merkel über ihr Flüchtlingsabkommen verhandelten.

Zwei Jahre in Folge kursierte das Bild in sozialen Medien, begleitet von der absurden Behauptung, die Kanzlerin würde Kinderbräuten zur Hochzeit gratulieren. Das Foto wurde tausendfach unter größter Empörung geteilt.

Vor der Bundestagswahl im vergangenen Jahr kursierte auf Facebook ein Video: Zu sehen sind etwa 20 Personen, die an einer Straßenbahnhaltestelle in Leipzig stehen. Sie alle sind in lange, helle Gewänder gekleidet.

Für die Seite, die das Video teilte, galt das als klarer Beweis für die Islamisierung Deutschlands. Nun sind 20 Menschen an einer Haltestelle in einer Stadt mit mehr als 500.000 Einwohnern maximal ein Indiz dafür, dass die nächste Bahn ein wenig voller wird, aber sicher kein Beweis für eine Islamisierung.

Unsere Recherche klärte damals den Kontext des Videos auf: Es zeigte nicht einmal Muslime, sondern Christen aus Eritrea.

Die mussten schon des öfteren als vermeintlicher Beleg für die Islamisierung herhalten: etwa weil sie an den Außenwänden einer Kirche beteten oder in einer Kirche Lieder sangen. Im ersten Fall hieß es, Muslime würden an eine Kirche urinieren, im zweiten Fall wurde gar die ganze Kirche durch islamische Lieder islamisiert.

Dieses Beispiel zeigt, dass Teile unserer Gesellschaft wirklich nicht den geringsten Aufwand betreiben, zwischen all den unterschiedlichen Menschen zu differenzieren, die die Worte “Migration” oder “Flucht” in sich einen. Wer schwarze oder braune Haut hat, ist sicher Muslim. Und Islam bedeutet dann auch immer gleich Islamismus.

Ich bin froh, ein Teil dieses Berufszweiges zu sein, der sich so rasend schnell entwickelt. Aber die Arbeit kann auch ermüden.

Zum Einen, weil sich alles wiederholt. Ich hoffe, dass ich das Bild von Frau Merkel und den vermeintlichen Kinderbräuten in diesem Jahr nicht mehr sehen muss. Aber die vergangenen Jahre lehren uns: diese Bilder lassen sich vortrefflich recyclen. Das impliziert auch, dass unsere Faktenchecks noch nicht genügend Menschen erreicht haben.

Zum Anderen kann der ständige Wettlauf ermüdend sein. Es ist ein Wettlauf mit Menschen, die sich immer neue, immer verschwörerische Erklärungen für ihre angeblichen Fakten ausdenken und im schlimmsten Fall keinerlei moralischem Kodex folgen. Und wenn gar nichts mehr geht, heißt es dann einfach: “Okay, DAS war jetzt nicht echt, aber es hätte ja sein KÖNNEN!”

Wir leben in Zeiten, in denen hochrangige europäische Politiker ebenso wie rechte Aktivisten den Mythos von einem alten, reichen Mann füttern, der Fluchtbewegungen steuert. Diese und ähnliche antisemitische Verschwörungstheorien werden tausendfach auf der ganzen Welt verbreitet.

Zugleich haben Rechtspopulisten es geschafft, Antisemitismus und Gewaltverbrechen, vor allem gegenüber Frauen, zu einem Problem der “Anderen”, der Geflüchteten, Migranten, People of Color zu machen. Ganz so, als hätte beides nicht schon lange vor 2015 zu unserem Alltag gehört.

Und natürlich gibt es unter Asylsuchenden Menschen, die Straftaten, auch Gewaltverbrechen, verüben. Zu behaupten, das wäre nicht so, wäre ziemlich weltfremd.

Wir müssen Desinformation, zumindest in Teilen, als Symptom verstehen. Ähnlich wie der Hass, der sich im Netz Bahn gebrochen hat, sind sie Beleg für die Radikalisierung und Normalisierung von menschenfeindlichen Einstellungen in allen Teilen, auch in der Mitte der Gesellschaft.

Und sie sind Teil eines Agendasettings, dem Politik und Medien heute viel zu oft nachgeben.

Desinformation entscheidet keine Wahlen. Von solchen monokausalen Erklärungen sollten wir uns verabschieden.

Aber sie trägt dazu bei, Diskussionen in digitalen Räumen zu verunmöglichen und Menschen mit radikalen Ansichten zusätzlich zu radikalisieren.

Falschmeldungen, die rassistische Stereotype aufgreifen, erreichen und aktivieren vor allem diejenigen, die für diese Botschaften bereits empfänglich sind.

Es braucht gesamtgesellschaftliche Anstrengung, um Desinformation die Stirn zu bieten. Das schließt die Politik ebenso ein wie Behörden, Medien, Zivilgesellschaft und auch die Plattformbetreiber.

Alarmismus hingegen sorgt höchstens für zusätzliche Verunsicherung in der Bevölkerung, die gleichzeitig glaubt, Desinformation und Fakes zu erkennen, andererseits aber von einer Bedrohung für die Demokratie ausgeht. Und möglicherweise ist Desinformation auch EINE Bedrohung für die Demokratie.  Und alle müssen Wege finden, damit umzugehen.

Dazu gehört der transparente Umgang mit Fehlern ebenso wie die Stärkung des Bewusstseins von Pressestellen in Politik und Behörden im Umgang mit Desinformation. Es ist nicht nur “dieses Internet”. Das, was im Netz passiert und verbreitet wird, hat ganz reale Folgen für uns viele von uns.

Es ist nicht immer einfach, die Balance zwischen Genauigkeit und schneller Reaktion zu finden. Aber es ist nötig, in diesen Bereichen gezielt zu schulen.

Das gilt auch für uns Journalisten. Im Eifer des Gefechts und Druck des Wettbewerbs passieren Fehler. Und sobald Medien Falschmeldungen aufgreifen und verbreiten, ist das Publikum ungleich größer und die Chance, ebenso viele Menschen mit einem Faktencheck zu erreichen, deutlich kleiner.

Dennoch sollten Politiker sich den Begriff “Fake News” nicht aneignen, um professionell arbeitende Journalisten anzugreifen. Wir sollten unterscheiden zwischen Fehlern auf der einen und geplanter Täuschung auf der anderen Seite.

Desinformation in seiner aktuellen Erscheinungsform lässt sich auch nicht allein durch die technischen Gegebenheiten der meisten sozialen Netzwerke erklären.

Ja, Facebook, Twitter und Co bedienen eine Aufmerksamkeitsökonomie, die vor allem über Emotionen funktioniert. Vor allem über negative Emotionen wie Angst und Wut.

Wir sollten allerdings auch nicht außer Acht lassen, dass viele Falschmeldungen sich auch über Messengerdienste wie Whatsapp verbreiten. Und hier gibt es keine Likes und wütenden Emojis die zur weiteren Verbreitung einer Nachricht beitragen.

Whatsapp-Nachrichten mit Falschmeldungen ähneln vielmehr den Kettenmails von damals, in denen vor angeblichen HIV-infizierten Nadeln in Kinositzen und an Tankstellen gewarnt wurde.

Klar ist, auch Plattformbetreiber können nicht die Augen vor dem verschließen vor dem, was User in sozialen Netzwerken tun. Es bedarf langfristiger und antizipierender Strategien statt schneller Lösungen, wenn schon alles zu spät ist.

Klar ist aber auch, dass die Zeit der Faxgeräte vorbei ist, und es an der Zeit ist für Strategien im Umgang mit diesen Begleiterscheinungen der Digitalisierung.

Das Internet geht nicht mehr weg. Soviel ist klar.

Danke.

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